Digitale Demokratiebildung mit Wirkung - Im Gespräch mit Luisa Schmidt von Das NETTZ
Luisa Schmidt ist wissenschaftliche Referentin bei Das NETTZhttps://www.das-nettz.de/ und arbeitet zu Wirkungsorientierung in der (digitalen) politischen Bildung. Das NETTZ ist eine Vernetzungsstelle gegen Hate Speech und fördert digitale Zivilcourage. Gemeinsam mit ihren Kolleg:innen Wyn Brodersen und Corinna Dolezalek hat Luisa vor kurzem für die Bundeszentrale für politische Bildung einen Leitfadenhttps://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/soziale-medien/552090/evaluationsmethoden-wirkungsorientierter-digitaler-politischer-bildung/ zu Evaluationsmethoden wirkungsorientierter digitaler politischer Bildung für die Praxis veröffentlicht. Wir haben mit Luisa über digitale Demokratiebildung, Demokratiekompetenzen und Wirkungsorientierung gesprochen und nach Praxistipps für die Umsetzung von digitalen Demokratieprojekten gefragt.
DKJS: Luisa, du arbeitest im Bereich der digitalen Demokratiebildung. Was bedeutet „digitale“ Demokratiebildung eigentlich und was ist der Unterschied zur analogen Demokratiebildung?
Luisa: Als digitale politische Bildung bzw. Demokratiebildung verstehen wir bei Das NETTZ alle Projekte und Angebote der politischen und Demokratiebildung, die in digitalen Räumen stattfinden und/oder Themen und Dynamiken digitaler Kommunikation thematisieren.
Politische Bildung und Demokratiebildung sollen zur mündigen Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben befähigen. Digitale Demokratiebildung fokussiert dabei auf die Aspekte, die sich durch die fortschreitende Digitalisierung für gesellschaftliche Debatten und politische Partizipation verändern. Dazu gehören zum Beispiel die Stärkung von Medienkompetenz, der Umgang mit Hassinhalten, die Sensibilisierung für Manipulationstechniken demokratiefeindlicher Akteure, Wissensvermittlung über Plattformlogiken sowie der reflektierte Umgang mit den eigenen persönlichen Daten. Darüber hinaus stehen Fragen des digitalen Miteinanders, der Partizipation und des Empowerments marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen im Fokus der digitalen Demokratiebildung.
DKJS: Aus deiner Perspektive: Welche Demokratiekompetenzen brauchen junge Menschen in der aktuellen Zeit und wie können diese durch digitale Demokratiebildung gestärkt werden?
Luisa: Auf Ebene kognitiver Kompetenzen sehen wir, dass insbesondere Nachrichtenkompetenz für das Erkennen von Falschnachrichten für gute Debatten im Internet notwendig ist. Darüber hinaus fehlt es oft an Algorithmenkompetenz, also das Reflektieren, warum mir bestimmte Inhalte angezeigt werden. Gleichzeitig braucht es emotionale Fähigkeiten wie das Erkennen, welche Inhalte einem gut tun und welche nicht und wann es Zeit für eine Pause von digitalen Räumen ist. Das Internet bietet viel Potential für Partizipation - sei es formal oder informell über die Teilnahme an Debatten. Die hierfür nötigen Handlungskompetenzen müssen gestärkt werden.
Diese Kompetenzen allein reichen jedoch nicht aus, um jungen Leuten digitale Räume zu ermöglichen, in denen sie sich sicher und gerne bewegen. Wir sehen, dass sich gerade junge Leute zurückziehen, wenn ihnen Hassinhalte im Netz begegnen. Dies betrifft insbesondere von Diskriminierungen betroffene Gruppen wie Frauen, homo- und bisexuelle Menschen und Menschen mit vermutetem Migrationshintergrund (Studie „Lauter Hass - leiser Rückzug“https://kompetenznetzwerk-hass-im-netz.de/lauter-hass-leiser-rueckzug/). Hier ist zum einen die gesamte Gesellschaft gefragt, um zu reflektieren, wie wir online miteinander umgehen wollen. Zum anderen braucht es eine konsequente Regulierung von strafrechtlich relevanten Inhalten auf Online-Plattformen.
DKJS: Welche Formate haben sich in der digitalen Demokratiebildung bewährt?
Luisa: Die meisten Menschen verbringen sehr viel Zeit ihres Tages im Internet und sind vertraut mit den Orten, Personen und Angeboten, die sie dort vorfinden. Digitale Demokratiebildung kann hier besonders lebensweltnahe Ansätze anbieten. So können bspw. Online-Gaming Formate ein guter Zugang zu Menschen sein, die in diesen Räumen aktiv sind. Über soziale Medien können viele Menschen erreicht werden. Hier kommt es aber auf die richtige Ansprache an, damit die Inhalte in Räumen, in denen sich viele Menschen eher “just for fun” aufhalten, nicht als stark pädagogisierend wahrgenommen werden.
Viel Potential sehen wir in Projekten, die neue Wege gehen und an digitalen Orten umgesetzt werden, die bislang noch nicht von digitaler Demokratiebildung genutzt werden. Das können digitale Freizeitorte wie Foren oder Facebook-Gruppen sein. Außerdem kann die Übertragung von erprobten Ansätzen der analogen Demokratiebildung erfolgversprechend sein, zum Beispiel im Rahmen von „digital streetwork“. Hier werden die Prinzipien der aufsuchenden Sozialen Arbeit ins Digitale übertragen, es wird also online mit jungen Menschen in Kontakt getreten und ihnen Hilfestellungen angeboten, zum Beispiel zu den Themen Desinformation oder Hate Speech. So können die Jugendlichen in ihrer Lebenswelt und mit den Themen, die ihnen online begegnen, abgeholt werden. Hierzu arbeitet zum Beispiel die Amadeu Antonio Stiftunghttps://www.amadeu-antonio-stiftung.de/good-gaming-well-played-democracy/digital-streetwork/.
DKJS: Dein Arbeitsschwerpunkt ist die Wirkungsorientierung und -messung. Wie kann bei digitalen Bildungsprojekten Wirkung praxisnah analysiert werden?
Luisa: Die größte Herausforderung bei der wirkungsorientierten Evaluation digitaler Demokratiebildung stellt der Zugang zu den jeweiligen Zielgruppen dar. Gerade bei Projekten mit wenigen oder keinen Interaktionen mit der Zielgruppe ist es quasi unmöglich, Aussagen zur Wirkung der Maßnahmen zu treffen. Das betrifft insbesondere Projekte, die ihre Inhalte z.B. über Social Media Posts, Websiten oder Podcasts zur Verfügung stellen. Insbesondere wenn es um langfristige Veränderungen geht, ist die Aussagekraft hier sehr begrenzt. Dies ehrlich zu reflektieren, gehört zu einer guten Evaluation.
Nichtsdestotrotz kann überlegt werden, wie man stabilere Zugänge zu den Zielgruppen herstellen kann - sei es über die jeweilige Plattform, auf der man seine Angebote schaltet oder über weitere Zugänge. So können Projekte in den Sozialen Medien die Möglichkeiten der jeweiligen Plattform nutzen (zum Beispiel über Umfragen) oder auf externe Inhalte verlinken. Bei Angeboten, die auf eigenen Websites angeboten werden, kann überlegt werden, ob es hier eine Möglichkeit für Befragungen gibt. Hierfür ist es wichtig, sich das schon vor Projektstart zu überlegen, insbesondere wenn extra Inhalte programmiert werden.
Grundsätzlich gilt: Das Angebot nicht mit Evaluationsfragen überfrachten! Die meisten Zielgruppen schätzen digitale Angebote, weil sie schnell und niedrigschwellig konsumierbar sind, eine umfassende Evaluation stünde dieser Logik entgegen. Außerdem ist es ratsam, nur das zu erheben, was im Rahmen des Projekts wirklich ausgewertet werden kann.
Eine Chance im Digitalen besteht darin, dass andere Daten erhoben werden können als in analogen Formaten. Hier ist es sinnvoll, sich im Vorfeld zu überlegen, was erfasst werden soll und was das für den Erfolg des Projekts bedeutet. Also z.B.: Ab wie vielen Likes/Reshares/Kommentaren finden wir ein Posting erfolgreich?
DKJS: Was sind aktuelle Herausforderungen für Demokratiebildung im digitalen Raum? Und wie können die Herausforderungen gelöst werden?
Luisa: Die größte Herausforderung sehen wir darin, dass bei vielen digitalen Angeboten die Logiken von Bildung und kommerziellen Plattformen aufeinandertreffen. Demokratiebildung will informieren, Kompetenz stärken und zur Teilhabe befähigen. Plattformen wollen eine möglichst hohe Nutzer:innenbindung und Verweildauer für mehr Werbeeinnahmen. Dies geschieht unter anderem über die Verbreitung polarisierender Inhalte. Die große Frage ist: Wie schafft es Demokratiebildung, sich zwischen all den verschiedenen Stimmen einen Platz zu sichern, ohne ihre Prinzipien dem Algorithmus zu opfern?
Eine weitere Herausforderung ist der Zugang zu den anvisierten Projektzielgruppen bzw. die Uneindeutigkeit bei der Zielgruppenerreichung. Setze ich ein Bildungsprojekt in der Schule um, weiß ich, das mache ich für 30 Kinder in einem bestimmten Alter, in einer bestimmten Schulform und plane mein Angebot entsprechend. Konzipiere ich ein Angebot für Instagram, tue ich das wahrscheinlich ebenfalls für eine bestimmte Zielgruppe. Zugriff auf den Inhalt haben aber alle Personen, die die Plattform nutzen. Das kann dazu führen, dass Akteur:innen, die mit meinen Inhalten nicht einverstanden sind, darauf aufmerksam werden. Wir sehen, dass sich insbesondere antidemokratische Akteur:innen sehr schnell organisieren können, um Inhalte mit negativen Kommentaren zu überziehen.
DKJS: Welche Tipps hast du für Praktiker:innen in der Demokratiebildung, die sich der digitalen Demokratiebildung annähern wollen?
Luisa: Die digitale Demokratiebildung ist ein sehr dynamisches Feld, in dem noch nicht auf viele bewährte best practice-Beispiele zurückgegriffen werden kann. Daher gilt: Ausprobieren! Auch sollte man sich nicht entmutigen lassen, wenn digitale Projekte gerade auf kommerziellen Plattformen zunächst wenig erfolgreich sind. Hier hilft es, über das Digitale hinauszugehen und sich ehrliches Feedback einzuholen: Liegt es an der Konzeption oder Qualität unserer Inhalte oder an der Logik der Plattformen? Die Verknüpfung zwischen dem Digitalen und Analogen zu schaffen, hilft generell bei der Evaluierung der eigenen Arbeit.
Es ist spannend, gemeinsam mit jungen Leuten zu überlegen, wie digitale Demokratiebildung aussehen kann. Junge Menschen werden mit dem Internet groß und machen oft keine Unterscheidung zwischen ihrer digitalen und analogen Welt. Hier steckt ein großes Potential, voneinander zu lernen und gemeinsam die bestmöglichen Bildungsangebote umzusetzen. So gelingt zielgruppensensible Bildung, die im besten Fall einen Beitrag zu einem respektvollen Internet leisten kann, an dem alle gerne teilhaben können und wollen.
Vielen Dank für das Interview!
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