Demokratie stärken, Rassismus begegnen: Im Gespräch über ein Podcastprojekt mit Hille Reil-Funke
Wie kann man über Rassismus sprechen? Gibt es Rassismus an unserer Schule? Diesen Fragen gehen Schüler:innen der Gesamtschule Mitte Münster im Projekt „Lernen und Handeln gegen Rassismus“ auf den Grund. Entstanden ist u.a. ein Podcast, der dieses Jahr den Wettbewerb „Demokratisch Handeln“ gewonnen hat. Hille Reil-Funke, Lehrerin für Deutsch, Geschichte und Französisch an der Gesamtschule Münster Mitte, leitet und begleitet das Projekt von Anfang an. Wir sprechen mit ihr über Herausforderungen im Projektalltag und über Rassismus an Schulen.
DKJS: Hille, du hast in den letzten Jahren gemeinsam mit Schüler:innen ein Demokratieprojekt umgesetzt. Erzähl doch mal: Wie kam das Projekt zustande? Was waren Herausforderungen? Was hat besonders gut funktioniert?
Hille Reil-Funke: 2020 kam die Black Lives Matter-Bewegung nach Deutschland und wurde mit großem Engagement auch in der Schülerschaft diskutiert. Über die SV wurde 2021 eine Projektwoche zum Thema Antirassismus und Antidiskriminierung beschlossen. Während der Projektwoche beschäftigten sich die Schüler und Schülerinnen aller Jahrgänge mit diesem Thema. Es gab problemorientierte Projekttage, aber wir haben uns auch Zugänge über Kunst, Musik, Spiel, Sport und Tanz zum Thema verschafft. Aus diesen Erfahrungen ist der Podcast entstanden.
Der „Podcast international und gegen Rassismus“ ist ein guter Ort, um etwas, von dem man nicht in jedem Smalltalk erfährt, zu besprechen. Wir haben bis auf eine Ausnahme nur erwachsene Personen befragt, da wir eventuelle ungünstige Rückkopplungseffekte vermeiden wollten. Sehr häufig fanden sich Studierende an Unis, die über Rassismuserfahrungen sprechen wollten. Die Kontakte haben sich durch gute Beziehungen zwischen Schule und Universität ergeben. Interviewpartner:innen zu finden, die über das Thema reden wollen, ist aber auf jeden Fall eine Herausforderung des Projekts.
Der Podcast, zu hören auf NRWision und gelegentlich auf dem Bürgersendeplatz von Antenne Münster, erlaubt auch Menschen aus der Stadt, einen Perspektivwechsel vorzunehmen und nachzuvollziehen und einen AHA-Effekt zu erleben: „Ah, so ist das also, darüber habe ich mir bisher nie Gedanken gemacht.“
DKJS: Habt ihr Regeln und/oder Grenzen für den Podcast festgelegt, wenn es um die Nutzung bestimmter Wörter und Ausdrücke geht?
Hille Reil-Funke: Zunächst einmal verwenden wir die üblichen, diskriminierungskritischen Bezeichnungen, wie etwa „das Z-Wort“. Dass das wichtig ist und wir manche Begriffe nicht verwenden, ist bekannt. Wir haben bei den Interviews gemerkt: Der sprachsensible Umgang mit diesem Thema bleibt nicht bei der Verwendung von Wörtern stehen. In verschiedenen Kontexten können auch „harmlose“ Fragen oder Anmerkungen als taktlos oder kränkend empfunden werden und subtile Diskriminierung transportieren, etwa wenn eine in Deutschland geborene deutsche Staatsbürgerin dreimal pro Woche gefragt wird: „Wo kommst du her?“ Der Podcast trägt dazu bei, dass wir einen Perspektivwechsel vornehmen können. Gleichzeitig wollen wir natürlich „fehlerfreundlich“ mit diesem Thema umgehen und nicht „inquisitorisch“. Wie gesagt, es geht immer um die Möglichkeit und um die Bereitschaft, einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Dafür muss man ein gutes, zugewandtes Klima der Zusammengehörigkeit schaffen.
DKJS: Aus deiner Erfahrung: Wie können Schulen eine offene und inklusive Gesprächskultur fördern, die den Austausch über Rassismus ermöglicht?
Hille Reil-Funke: Wir wollten genauer wissen, wie es Schüler:innen an unserer Schule geht und ob Diskriminierung ein Thema ist. Die Schülerumfrage „Ist unsere Schule ein demokratischer Ort und ein diskriminierungsfreier Raum?“ im Februar 2024 hat Kolleg:innen neu sensibilisiert für die Tatsache, dass auch an unserer Schule, die hinsichtlich Schulkultur und Miteinander schon mit einem modernen Konzept aufgestellt ist, Diskriminierung leider ein Thema ist. Bei einem Projekttag im August 2024 wurden die Umfrageergebnisse in den Schülergruppen veröffentlicht und mit den Schüler:innen Problemlösungen erarbeitet. Schüler:innen sollten selbst formulieren, welche konkreten Erwartungen sie haben an sich selbst, an die Lehrkräfte, Stufen- und Schulleitungen, an die Schulsozialarbeit, um Diskriminierung und unfreundliches, unfaires Verhalten zu klären und damit umzugehen.
Es war nun wichtig, auch den nächsten Schritt zu machen und das Problem lösungsorientiert anzupacken. Seit einigen Monaten gibt es zwei durch die Schulsozialarbeit begleitete Pausenzeiten. Dort können sich von Diskriminierung betroffene Schüler:innen treffen. Außerdem hat sich die Schulsozialarbeit offiziell als Anlaufstelle bekannt gemacht, um sofort Gespräche zu führen und Notfallsituationen zu moderieren. Die Schulsozialarbeiter:innen sind zu Beginn des Schuljahres durch alle Klassen gelaufen und haben das neue Format angekündigt. In jeder Klasse hängen Flyer mit diesen Informationen. Diese Möglichkeiten werden von Schüler:innen gut genutzt. Das ist wichtig, um über die Problemformulierung hinauszugehen und einen lösungsorientierten Ansatz zu bieten.
Darüber hinaus gibt es in den verschiedenen Jahrgangsstufen Projekttage mit lösungsorientierten Ansätzen zum Thema Antidiskriminierung, gegen Antisemitismus, gegen Hatespeech. Es entwickelt sich also zunehmend ein Gesamtkonzept für die Schule.
Der Podcast ist auf jeden Fall auch ein guter Platz, um den Themen Diskriminierung und Rassismus eine Öffentlichkeit zu geben. Es wird über ein Thema gesprochen, das eher selten zur Sprache gebracht wird. Selbst wenn belastende Situationen auftreten, sagen die Betroffenen oft nichts. Der Podcast spricht es in einem geschützten Raum an, die Personen sind nicht mit Bild zu sehen. Für unsere Schule gilt: Dieser Podcast macht Mut, die Dinge, die belastend sind, doch anzusprechen. In der Schule hat die Projekt-AG dazu geführt, dass das Thema wahrgenommen und ernst genommen wird.
DKJS: Gibt es Ansätze und Empfehlungen aus eurem Projekt, die du anderen Schulen oder Bildungseinrichtungen mitgeben würdest?
Hille Reil-Funke: Eine Schülerumfrage dazu, ob die Schule ein demokratischer Ort und ein diskriminierungsfreier Raum ist, ist schnell gemacht und sehr effektiv, um zu erfahren, wie es den Schüler:innen wirklich geht.
Es ist außerdem gut, Schüler:innen einen Raum zu geben, um über das zu reden, was über Bildungsinhalte, die im Lernplan stehen, hinausgeht. In einer Klassenratsstunde, die im Stundenplan und im Schulkonzept fest verankert ist, kann über Klassenkonflikte, aber auch über Themen gesprochen werden, die von der Schülerschaft entschieden werden dürfen. Auch tagespolitisch Aktuelles kann thematisiert werden. So kann Schule dazu beitragen, dass Schüler:innen sich politisch besser orientieren können und Demokratie selbst erfahren können. Die Klassenratsstunde ist also eine Multifunktionsstunde und ist in jeder Schulform unerlässlich, um Diskriminierung vorzubeugen, aber auch um Demokratie zu praktizieren.
DKJS: Zu guter Letzt: (Wie) geht euer Projekt weiter?
Hille Reil-Funke: Ich habe weiter oben schon einige Entwicklungen genannt, die aus dem Ursprungsprojekt „Podcast international und gegen Rassismus“ hervorgegangen sind, etwa die Schüler:innenumfrage. Der Podcast geht weiter und heißt seit diesem Jahr „Demokratie - alle(s) safe?“. Wir befragen nun Politiker:innen zu den aktuellen Wahlergebnissen, wie sie den Aufstieg einer verfassungsfeindlichen Partei sehen und wie wir uns weiterhin dagegen wappnen können. Die Schule plant einen Demokratie-Tag im Februar, zu dem wir auch Schüler:innen und Eltern einladen wollen. Und wir denken über die Implementierung des AULA-Konzepts von Marina Weisband nach, um mehr Demokratie praktizieren und leben zu können.
Vielen Dank für das Interview!
Du möchtest gerne in den Podcast reinhören? Wir haben die eine Liste der Episoden zusammengestellt:
- Hier findest du eine Episode zu Rassismus in Schulbüchern.
- Um die Wochen gegen Rassismus in Münster 2024 geht es hier.
- Hier findest du die Juristin Franziska Hasselbach im Interview.
- Eine Episode rund um Fußball und Fankultur für Toleranz und Demokratie gibts hier.
- Verschiedene Episoden zu Ausprägungen von Alltagsrassismus findest du hier (Beleidigungen und Angriffe wegen der Hautfarbe), hier (Jacqueline, Jüdin), hier (Jugendliche im Offenen Ganztag in Münster) und hier (Jasmin, Muslima).