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Meinungen, Fakten und Fakes – Umgang mit Desinformation und Hassrede im Netz

Zum Thema • 26.06.2024
Jugendliche:r von hinten fotografiert, vor einem Laptop sitzend
© DKJS / Franziska Schmitt

Mehr Medienkompetenz ist dringend nötig, das zeigen nicht zuletzt die Zahlen: 58 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen gaben in der JIM-Studie 2023https://www.mpfs.de/studien/jim-studie/2023/ an, dass sie im vorangegangenen Monat auf Desinformationen im Internet gestoßen waren. Immerhin 39 Prozent der Befragten waren im Vormonat Hassrede im Netz begegnet.  

Kein Wunder also, dass das Interesse am Digitalcafé „Umgang mit Fake News und Hassrede: Medienkompetenz als Demokratiekompetenz“ des Kompetenznetzwerks im Jugendalter groß war. Mehr als 80 Teilnehmende aus schulischer und außerschulischer Bildungsarbeit folgten dem Impulsvortrag von Lidia de Reese, Referentin für Medienbildung bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM e.V.). Die Medienpädagogin gab zunächst einen Einblick, mit welchen Mitteln Desinformationen erzeugt werden: Neben frei erfundenen Inhalten werden dazu Bilder und Videos manipuliert, aus anderen Kontexten gezogen und zunehmend auch KI-generiert.  

Auch Hassrede arbeitet mit typischen sprachlichen und bildlichen Stilmitteln. Dazu gehören unter anderem die Wir-/Die-Rhetorik, die Aber-Rhetorik und die Umkehrung von Opfern und Täter:innen. Hassrede hat schwerwiegende Auswirkungen, auch auf diejenigen, die nicht direkt Opfer der verbalen Angriffe sind. Wie die Studie „Lauter Hass, leiser Rückzughttps://kompetenznetzwerk-hass-im-netz.de/lauter-hass-leiser-rueckzug/“ zeigt, werden viele Jugendliche eingeschüchtert mit der Folge, dass sie sich weniger an Diskussionen beteiligen und sich seltener zu ihrer Meinung bekennen. Nicht zuletzt ist Hassrede ein Nährboden für reale Gewalt. „Deswegen ist es wichtig, dass wir nicht erst handeln, wenn es schon in den strafbaren Bereich geht, sondern viel früher ansetzen, wenn es um gesellschaftliche und politische Kommunikation online geht“, sagte de Reese.  

Tipps und Methoden gegen Desinformation und Hassrede im Netz 

Dafür hat die Medienpädagogin ein paar ganz praktische Tipps. Sie empfiehlt das Thema Medienkompetenz möglichst fächerübergreifend und beispielsweise an Projekttagen aufzugreifen. Statt trockener Theorie gibt es mittlerweile zahlreiche Spiele und Quizformate, die es ermöglichen, sich spielerisch mit dem Thema auseinanderzusetzen (siehe TaskCardhttps://dkjs.taskcards.app/#/board/7a41188e-6034-498c-b28d-ac7fc5178231?token=f1e23221-0083-4c01-b27a-f8bb0dd29659). Als Beispiele nannte sie „Bad Newshttps://www.getbadnews.com/books/german/“, ein Onlinespiel, bei dem man mit Hilfe von Fake News, Lügen und vielen bösen Tricks möglichst viele Follower:innen generieren kann. Ganz nebenbei erleben die Spieler:innen dabei, mit welchen Mechanismen im Netz Aufmerksamkeit erzeugt wird. Ein anderes gutes Beispiel: Der Newstesthttps://der-newstest.de/, mit dem jede:r die eigene Informations- und Nachrichtenkompetenz testen, infrage stellen und nicht zuletzt auch verbessern kann. „Die Idee kann man natürlich auch umdrehen und die Jugendlichen selbst ein Quiz erstellen lassen“, ergänzte de Reese. Und ein weiterer Hinweis: Meinungsbildung beginnt im Elternhaus. Deswegen sollte so weit wie möglich auch die Elternarbeit mitgedacht werden. 

Genauso wichtig wie das Prebunking, also das Sensibilisieren von Jugendlichen für kritische Inhalte, sei auch das Debunking, also das Entlarven und Widerlegen von Hate Speech und Desinformationen. De Reese warnte allerdings, dass der Versuch, Fake News aufzuklären, im schlimmsten Fall den gegenteiligen Effekt haben könne. Denn je häufiger eine Desinformation wiederholt wird, desto mehr kann sie sich in den Köpfen festsetzen. Für den Umgang mit Desinformationen empfahl de Reese deswegen das sogenannte „Faktensandwich“: Bei dieser Methode wird zunächst die gesicherte Information vorangeschickt. Klar als solche markiert, wird dann die Desinformation erklärt. Schließlich wird noch einmal an die gesicherte Information erinnert.  

Nach diesem Impulsvortrag trafen sich die Teilnehmenden des Digitalcafés in mehreren Breakout Rooms, um sich in Kleingruppen auszutauschen. In einem digitalen Tool wurden dabei Fragen gesammelt, die viele der teilnehmenden pädagogischen Fachkräfte beschäftigen, etwa: Woran erkenne ich Fake News? Warum sind rechte Parteien so präsent in sozialen Medien? Wie umgehen mit Filterblasen? Wie komme ich an die Schüler:innen heran, die Vorurteile und Feindbilder aus dem Elternhaus mitbringen? Und wie lernen Schüler:innen, kritisch mit politischer Berichterstattung und Meinungsmache umzugehen? 

De Reese wies darauf hin, dass es hervorragendes Unterrichtsmaterial gibt, um Schüler:innen zu vermitteln, wie professioneller, unabhängiger Journalismus arbeitet und warum er sich als Quelle für politische Informationen eignet. „Man kann das auch gegenüberstellen und vergleichen: Wie im unabhängigen Journalismus berichtet wird und wie die gleichen Informationen bei einzelnen Parteien, Politiker:innen oder Influencer:innen dargestellt werden.“ So lasse sich deutlich machen, welche Akteur:innen mit ihren Äußerungen im Netz ein persönliches, politisches oder auch kommerzielles Interesse verfolgen. Daneben sei es sinnvoll, sich gemeinsam die vielen positiven Beispiele von journalistischen Angeboten anzuschauen, und zwar in den sozialen Medien, die von Jugendlichen bevorzugt werden. 

Meinungen aushalten?

Bei ausgeprägten Vorurteilen, die möglicherweise aus dem Elternhaus kommen, empfiehlt de Reese zunächst zu klären, ob diese noch im Bereich der demokratischen Meinungsfreiheit liegen. „Zur Bildungspraxis gehört auch, Meinungen auszuhalten, die man nicht teilt“, sagte die Medienpädagogin. Vorurteile und Feindbilder, die von zu Hause mitgebracht werden, ließen sich nicht einfach umkrempeln. Aber man könne sie aufgreifen und in eine konstruktive Diskussion münden lassen. Nicht zuletzt gebe es natürlich immer die Möglichkeit, bei kritischen Fragen und auch für die Elternarbeit externe Unterstützung dazuzuholen (siehe TaskCardhttps://dkjs.taskcards.app/#/board/7a41188e-6034-498c-b28d-ac7fc5178231?token=f1e23221-0083-4c01-b27a-f8bb0dd29659). 

Eine ähnliche Herausforderung ergibt sich, wenn Jugendliche eine grundsätzliche Ablehnung gegen traditionellen Journalismus äußern. Hier könne man zunächst fragen, welches Medium und was genau daran den oder die Jugendliche stört. De Reese empfiehlt, den Jugendlichen deutlich zu machen, dass es viele verschiedene Angebote in einem breiten politischen Spektrum gibt: „Das ist ja ein Stück weit auch Geschmackssache.“ Man könne sich gemeinsam jugendgerechte Angebote anschauen und prüfen, woher die Ablehnung eigentlich komme. Vielleicht kennen die Jugendlichen einfach noch nicht die TikTok-Kanäle, die sie ansprechen? Auch wenn Jugendliche möglicherweise andere Ansprüche an die Medien stellen, die sie konsumieren, sollte deutlich gemacht werden, warum es journalistische Standards gibt, wie wichtig diese sind und welchen Nutzen sie für die Konsument:innen haben.  

Die Frage, warum es gerade den rechten Parteien so gut gelingt, die sozialen Medien für sich zu nutzen, ist nicht leicht zu beantworten. Denn es gibt viele verschiedene Gründe dafür, wie de Reese feststellte. Einer sei, dass diese deutlich mehr Geld für Öffentlichkeitsarbeit, Social Media und Marketing ausgeben als andere Parteien. Zudem bieten sie einfache Lösungen für gesellschaftliche und politische Themen an, die sich gut in sozialen Medien transportieren lassen: schnelle Schnitte, kurze Videos, peppige Musik. „Es ist natürlich viel schwieriger, ein komplexes Klimapaket in einem TikTok-Video unterzubringen“, so de Reese. 

Von Filterblasen zu diversen Inhalten

Zudem gilt: Wer schon länger bei TikTok (oder auch Facebook oder Instagram) postet, wurde bereits häufiger geklickt und wird entsprechend vom Algorithmus bevorzugt. Doch auch der Algorithmus lässt sich zum Teil beeinflussen, betonte de Reese: „Man kann den Algorithmus lernen lassen, von welchen Inhalten man mehr sehen möchte. Das muss man aber sehr aktiv betreiben.“ Als ersten Schritt empfahl die Medienpädagogin, Jugendlichen überhaupt bewusst zu machen, dass es Filterblasen gibt, dass sie also in einen Social Media-Kosmos geraten können, indem sie immer wieder die gleichen Informationen und Meinungen präsentiert bekommen. Es sei wichtig zu wissen, dass es auch viele andere Meinungen gebe. Schulische und außerschulische Bildungsarbeit könne hier alternative Angebote zeigen, die es den Jugendlichen erlaube, aus der Blase auszusteigen und an andere Inhalte zu geraten. Und wenn alles nichts mehr hilft, gebe es schließlich – auch bei TikTok – die Möglichkeit, den Algorithmus vollständig zurückzusetzen und noch einmal ganz neu zu starten. 

Hassrede und Desinformation im Netz sind ein komplexes Thema. Das Digitalcafé mit der Medienpädagogin de Reese zeigte aber eindrücklich, dass in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit viel möglich ist, um die Medienkompetenz von Heranwachsenden zu stärken und sie für den Umgang mit demokratiegefährdenden Inhalten fit zu machen. 

 

Dieser Beitrag wurde von Wibke Bergemann, Journalistin, verfasst. 

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