Alle Beiträge

Adultismus: Die dunkle Seite der Macht

Zum Thema • 27.11.2024
Ein Spielfeld mit verschieden großen bunten Figuren und Karten
© DKJS/Franziska Schmitt

Altersdiskriminierung trifft nicht nur ältere Menschen, sondern auch Kinder und Jugendliche: zum Beispiel, wenn ihnen weniger zugetraut wird als das, was sie in der Lage sind zu tun, zu verstehen oder zu wissen. Oder wenn sie nicht beteiligt werden an Regeln und Entscheidungen, die sie selbst betreffen. Adultismus heißt diese Form der Diskriminierung. Um die ging es beim sechsten und letzten Digitalcafé in diesem Jahr am 12. November 2024.

„Dafür bist Du noch zu jung“, „das verstehst Du noch nicht“ oder auch „das ist doch kinderleicht“ – wer kennt solche Sätze nicht aus der eigenen Kindheit und Jugend? Die Einstellung, die dahinter steht, ist so in unserem Alltag und in unseren Strukturen verankert, dass solche Aussagen gar nicht unbedingt als diskriminierend wahrgenommen werden. Doch sie sind Ausdruck eines Machtungleichgewichts zwischen jungen Menschen und Erwachsenen, Ausdruck von Adultismus. Das Fatale daran: Kinder und Jugendliche lernen, dass ihre Bedürfnisse weniger wichtig sind als die von Erwachsenen. Und das kann sich auch auf ihr Verständnis von Demokratie auswirken. So heißt es im 17. Kinder- und Jugendberichthttps://www.bmfsfj.de/resource/blob/244626/b3ed585b0cab1ce86b3c711d1297db7c/17-kinder-und-jugendbericht-data.pdf: „Junge Menschen selbst zeigen ein großes Interesse an politischen Themen, fühlen sich aber oft unzureichend einbezogen, was ihre Skepsis gegenüber dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland verstärkt.“ Sie wünschen sich mehr Möglichkeiten zur Mitgestaltung politischer und gesellschaftlicher Prozesse, vermissen aber „echte und effektive Teilhabe sowie eine stärkere Berücksichtigung ihrer Stimmen in Entscheidungsprozessen.“

Adultismus ist allgegenwärtig, wird aber weder in der Öffentlichkeit noch in der Forschung groß diskutiert. „Dabei sind wir alle mehr oder weniger stark davon geprägt“, sagte Kathleen Schkade von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) zu Beginn des Digitalcafés „Adultismus und Demokratiebildung“ des Kompetenznetzwerks Demokratiebildung im Jugendalter am 12. November 2024. Anlass war der Internationale Tag der Kinderrechte, der immer am 20. November begangen wird, weil an dem Tag 1989 die UN-Kinderrechtskonvention verabschiedet wurde.

Knapp 60 Menschen, die meisten schulische und außerschulische pädagogische Fachkräfte, nahmen an dem Digitalcafé teil. 48 Prozent von ihnen gaben bei der Befragung zu Beginn an, sich bei der Arbeit bereits ab und zu mal mit dem Thema Adultismus beschäftigt zu haben, 17 Prozent sogar schon öfter. Für 17 bzw. 19 Prozent war es hingegen bislang kaum oder gar kein Thema.

Wo beginnt Adultismus?

ManuEla Ritz beschäftigt sich mit dieser Form der Diskriminierung schon seit 20 Jahren. Sie ist Referentin für politische Bildungsarbeit gegen Diskriminierung und spricht von sich selbst als „Schwarze deutsche Mutter“. Zusammen mit ihrer Tochter Simbi Schwarz hat sie das Buch „Hinter (auf)geschlossenen Türen. Adultismus und kritisches Erwachsensein“ geschrieben. Im Unterschied zu anderen Diskriminierungsformen bestehe bei Adultismus das

Machtungleichgewicht tatsächlich, sagte sie in ihrem Impulsvortrag. „Das hat etwas mit Abhängigkeit zu tun. Kinder brauchen Erwachsene, um zu überleben, um gewärmt und geliebt zu werden. Durch diese biologische Abhängigkeit bekommen Erwachsene automatisch Macht mitgeliefert.“ Es handele sich aber in dem Fall um eine schützende Macht, die auch nicht verhandelbar sei. „Wir müssen uns im Alltag aber immer wieder fragen, ob die Macht, die wir gerade ausüben, wirklich dem Schutz dient. Oder geht es womöglich nur um Macht an sich? Wenn wir über Adultismus reden, meinen wir die dunkle Seite der Macht“, stellte sie klar. Sie zeige sich, wenn Erwachsene eine Rangordnung im Kopf haben und allein wegen ihres Alters davon ausgehen, dass sie intelligenter, kompetenter, besser seien als Kinder und Jugendliche. „Mit so einer Einstellung ist es leicht, sich über deren Meinungen und Ansichten hinwegzusetzen bzw. diese gar nicht erst zu erfragen.“

Wie jede Art von Diskriminierung werde auch Adultismus durch Traditionen, Gesetze und Institutionen festgeschrieben und untermauert. ManuEla Ritz rät deshalb allen, die an der Schule, im Hort oder an einer anderen Institution Adultismus mitbekommen, zu schauen, wo sie für eine junge Person einen Unterschied machen können. „Dabei kann es helfen, sich zu erinnern, ob es in der eigenen Kindheit oder Jugend eine erwachsene Person gab, von der man sich ernst genommen oder angenommen gefühlt hat, und wenn es nur in einem einzigen Moment so war. Was hat die Person gemacht? Hat sie mich vielleicht in einer Situation verteidigt oder mich in den Arm genommen?“ Wie schnell man selbst in die Adultismus-Falle tappt, ist Ritz aufgefallen, als ihre Tochter Simbi sie vor vielen Jahren gefragt hat, warum Erwachsene, wenn es um Kinder geht, nicht Wörter benutzen, die Kinder auch verstehen. „Ich habe also eine Sprache benutzt, die ausschließend ist.“ Sie habe ihre Tochter deshalb um eine eigene Definition von Adultismus gebeten: Für sie bedeutet es, „... dass Größere Kinder absichtlich runtermachen und sie die ganze Zeit auch damit aufziehen, dass sie halt kleiner sind, und vielleicht sagen die dann auch, dass sie nicht so gut sind wie sie.“ Das „absichtlich“ hat Simbi dann noch näher erläutert: Wer habe denn entschieden, dass es Schulen geben müsse und dass Kinder, die in die Schule gehen müssen, dafür kein Geld bekommen, Erwachsene aber schon? „Simbi ist also auf die strukturelle Ebene von Adultismus gegangen und hat mir die Absichtlichkeit von Adultismus erklärt. Das fand ich damals sehr erhellend.“

Hilfe zur Selbsthilfe

Jede Diskriminierung beginne immer mit einer Vorstellung davon, dass es eine Norm, einen Maßstab gebe, wie alles sein müsse. Wer dem entspreche, sei Teil eines „Wir“. „Weil es eine Norm ist, habe ich ab einem bestimmten Alter plötzlich automatisch Privilegien: Ich darf politisch wählen, Alkohol trinken, den Führerschein machen.“ Ein besonders wichtiges Privileg dieses Wir sei zu bestimmen, wer dazugehöre und wer nicht. „Die Anderen“ würden dann mithilfe von Stereotypen, Zuschreibungen und Vorurteilen konstruiert. Es sei eine Erleuchtung für sie gewesen, als sie das Wort „othering“ dafür kennengelernt habe. „Aus dem ‚jemand ist anders‘ als Zustandsbeschreibung wurde plötzlich ein Verb: Jemand tut etwas dafür, dass ich jemand anders sein soll.“ Deshalb redet ManuEla Ritz lieber von „Wir und die Geanderten“. „Wenn Regeln und Gesetze das ‚Wir‘ und die ‚Geanderten‘ schön säuberlich voneinander trennen und getrennt halten und wenn den Erwachsenen Macht über junge Menschen zugesprochen wird, dann entsteht daraus ein Diskriminierungsverhältnis.“ All dem sind wir uns im Alltag oft nicht bewusst. Um zu einem:einer kritischen Erwachsenen zu werden, nennen ManuEla Ritz und ihre Tochter in ihrem Buch 31 Schritte. Sie lauten zum Beispiel: „Mach dir bewusst, dass du erwachsen bist und auch so wirkst, denn diese Position verleiht dir Macht und Macht verlangt nach einem Bewusstsein für Verantwortlichkeit“, „Mach dir bewusst, welche erwachsenen-spezifischen Privilegien du hast“ oder „Vergegenwärtige dir, welches Verhalten von Erwachsenen dich als junger Mensch geärgert, genervt und/oder verletzt hat“.

Eigenes Reden und Tun hinterfragen

Nach dem Impulsvortrag tauschten sich die Teilnehmenden in mehreren Gruppenräumen aus. Immer wieder ging es um das Thema Sprache, die gerade an Schulen oft sehr akademisch geprägt und allein dadurch ausgrenzend sei, und um die Frage, wie machtfreies Sprechen gelingt. „Frag dich, ob du mit einer erwachsenen Person auch so sprechen würdest – in dem gleichen Ton, mit der gleichen Mimik, mit dem gleichen Habitus“, so der Rat von Ritz.

Der Spagat zwischen Verantwortung und Macht wurde ebenfalls thematisiert, zum Beispiel wenn man als Lehrkraft mit einer großen Gruppe Schüler:innen am Bahnsteig steht. „Da braucht es natürlich Ansagen. Aber wichtig ist zu thematisieren, dass und warum man Angst hat, und das dann transparent zu machen gegenüber den Jugendlichen. Gerne auch schon im Vorfeld“, betonte die Anti-Diskriminierungs-Referentin. Grundsätzlich solle man sich beim Thema Regeln und Grenzen immer zwei Überprüfungsfragen stellen: „Erstens: Dient diese Regel dem Schutz der jungen Person und welchen Gefahren ist sie tatsächlich ausgesetzt? Und zweitens: Was regelt diese Regel eigentlich? Regelt sie wirklich das Miteinander oder geht es um Macht?“

Auf die Frage, inwieweit Erwachsene Jugendliche dazu motivieren können und sollen, Beteiligungsformate anzunehmen, hat ManuEla Ritz eine ganz klare Meinung: „Partizipation ist die Adultismuskeule schlechthin!“ Partizipation bedeute oft, dass Erwachsene etwas planen und den jungen Menschen dann sagen: So, und ab diesem Punkt hier darfst Du mitentscheiden. Um ernsthaft von Partizipation sprechen zu können, müsse man von Anfang an etwas zusammen mit den Jugendlichen gestalten. „Auch wenn das Kraft, Anstrengung und Zeit kostet, weil man Dinge gemeinsam aushandeln muss.“

Im Grunde gehe es immer um die Frage: Wie kann ich es schaffen, Menschen egal welchen Alters als Mensch zu begegnen?

Dieser Beitrag wurde von Kristina Simons, Journalistin, verfasst. 

 

Hierhttps://dkjs.taskcards.app/#/board/12a0a14e-ecf5-4f65-acdf-7f8a8df44c37?token=f060c64d-1bcf-4605-9f75-60b216a25397 findest du die TaskCards zum Digitalcafé mit vielen weiterführenden Materialien.

Und hier kannst du dir den Impuls von ManuEla Ritz ansehen:

Haltung und Rolle

Haltung und Rolle

Leseempfehlungen

Wie gelingt gute Demokratiebildung im Geschichtsunterricht?
Neuigkeit • 27.02.2025

Wie gelingt gute Demokratiebildung im Geschichtsunterricht?

mehr erfahrenhttps://www.reflexionstool-demokratiebildung.de//aktuelles/wie-gelingt-gute-demokratiebildung-im-geschichtsunterricht